Montag, 9. April 2012

Sacki et Reisi

Warum eigentlich, wenn ich mal so blöd fragen darf, vermelden jedes Jahr aufs Neue sämtliche Medien an möglichst prominenter Stelle, dass der Papst erneut den Segen "Urbi et Orbi" gespendet hat? Er macht das bekanntlich jedes Jahr, zweimal sogar - warum also verdrängt diese Meldung, allen redaktionellen Leitlinien widersprechend, stets viel außergewöhnlichere und bedeutungsschwerere tagesaktuelle Ereignisse? Besteht etwa, ohne dass wir armen Schäfchen etwas von dieser drohenden Gefahr ahnen, Jahr für Jahr die Möglichkeit, dass er diesen Segen einmal nicht spendet, zum Beispiel, weil wir alle nicht genug gebetet und zuviel an unseren Schniedeln herumgespielt haben?


Die in der Tagesschau vermeldete "Nachricht", dass der Papst den Segen "Urbi et Orbi" gespendet hat, gehört - ungelogen - zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen. Ich weiß nicht mehr, ob ich mir dabei etwas besonderes dachte; aber seither muss ich es jedes Jahr immer wieder sehen, lesen, hören - und das Nachdenken darüber habe ich mir längst abgewöhnt. Der Papst segnet also die Stadt Rom und den Rest der Welt. Wäre ich gläubiger Katholik, würde es mich wohl ziemlich anstinken, dass die Römer so eine Extrawurst kriegen. Da ich aber kein Katholik bin und auch gar nicht gläubig, stinkt es mich an, dass große wie kleine Medien sich wieder und wieder an den Mozettazipfel des Oberhirten hängen, dabei wäre das doch bestenfalls eine Meldung für Bibel TV.

Nach der guten alten "Mann beißt Hund"-Regel wäre es doch viel nachrichtenwertiger, wenn Benny Sixteen sich einfach mal weigern würde, die verpeilten Massen auf dem Petersplatz und die Abermillionen sonstigen Schafsnasen, die an Engel, Teufel und die unbefleckte Empfängnis glauben, zu segnen, was auch immer das überhaupt heißen mag. Er könnte einfach sagen: "Ihr könnt mich alle mal, ihr armseligen, sündebelasteten Schweinigel, die ihr nur ans Fressen, Ficken und Fernsehen denkt und glaubt, ihr kommt davon, wenn ihr einmal im Monat in die Kirche geht, damit die Nachbarn euch sehen. Wenn ich euch den Segen gebe, dann dahin, wo die Sonne nicht scheint!" Und dann den Balkon des Doms verlassen. Auch das wäre an sich noch keinen 90-Sekünder in den Abendnachrichten wert, denn wen interessiert es, was für interne Probleme dieser Verein hat - aber die Gesichter der Christenmeute auf dem Petersplatz, die wären es wert.

Und was soll das überhaupt sein, ein Segen? Die sprichwörtliche Bedeutung kennt man ja, aber gibt es über diese literarisch gerägte hinaus noch eine? Was soll in diesem Moment, wenn der Papst diese Worte spricht, genau passieren? Mal bei Wikipedia nachgucken, was dieser Quatsch eigentlich bedeuten soll. Moment... ah ja: "Mit dem Segen Urbi et Orbi ist nach katholischer Lehre allen, die ihn hören oder sehen und die guten Willens sind, ein vollkommener Ablass ihrer Sündenstrafe gewährt." Huah! Donnerwetter! DAS ist natürlich mal eine Ansage. Ich nehme alles zurück - Mal eben der halben Welt, auch allen, die eigentlich bloß auf die Sportmeldungen warten, all ihre Sünden zu vergeben und ihnen damit das Fegefeuer zu ersparen, das nenne ich mal ne Hausnummer. Und man muss ihn dafür nur hören, nicht einmal live, so verstehe ich das. Fernseher an, Ton an, weiter in einem Buch lesen - und schwupps ist die Weste wieder rein, auch wenn Sie gestern eine Kirche angezündet, ein Baby gefressen oder an unzüchtige Dinge gedacht haben sollten.

Und noch etwas verstehe ich jetzt - warum nämlich alle TV-Sender, wenn sie über dieses epochale Ereignis berichten, den Off-Text des Berichtes an genau der Stelle unterbrechen, an der der Papst jene salbungsvollen Worte spricht. Früher dachte ich immer, dass es ein bisschen suboptimal ist, die Dynamik aus so einem gebauten Beitrag herauszunehmen, um zehn, zwölf Sekunden lang einem greisen Wahnsinnigen mit brüchiger Stimme zuzuhören. Jetzt weiß ich: Es geht genau darum, dass man ihn hört! Konkret: Dass man den Segen hört. Damit man selbst abgelassen wird, ähm, Sünden abgelassen bekommt; Sie wissen, was ich meine. Das ist doch nett. Man stelle sich vor, irgendein vorlauter Redaktionsvolontär würde einfach dazwischenquatschen und zwischen dem "urbi" und dem "orbi" anmerken, dass soundsoviele Leute bei schlechtem Wetter zum Petersdom geströmt sind blabla. Und deshalb Millionen deutscher TV-Zuschauer auf ihren Sünden hängenbleiben! Nicht auszudenken.

Alsdann, die Medien spielen das christliche Spiel mit, warum auch nicht, wenn schon ein Pfaffe Staatsoberhaupt und eine Pastorentochter Regierungschefin sind, fällt das auch nicht mehr ins Gewicht; und obwohl sie einem ansonsten unablässig die Ohren vollquatschen, halten TV-Moderatoren in diesen paar Sekunden besinnlich inne, um das päpstliche Gesegne nicht zu torpedieren, schließlich haben auch Journalisten manchmal Dreck am Stecken und sind einem Ablass nicht abgeneigt.

Das Ganze ist allerdings ein erbauliches Zeichen für den Niedergang der katholischen Macht. Früher, da konnten sie sowas wie einen Sündenablass noch teuer verkaufen oder den Leuten abverlangen, am anderen Ende der Welt Ungläubige niederzumetzeln. Später mussten Sünder sich immerhin noch aufraffen und ihren Arsch zum Beichtstuhl bewegen, in der Hoffnung, dass der Beichtvater selbigen nicht zweckentfremdete. Und heute? Heute kriegt man ihn frei Haus. Den Ablass, nicht den Arsch. Obwohl, wenn ich mir den Benedikt so angucke...

Keine Kommentare: