Montag, 6. Dezember 2010

Das Ende der Geschichte, Teil III: Das Internet ist unser Unglück

Arthur C. Clarke hatte unrecht: 2010 ist leider nicht das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen. In der Realität ist es das Jahr, in dem wir den Kontakt verlieren: Den Kontakt zu Informationen. Den Kontakt zu alternativen Nachrichtenquellen. Es ist das Jahr, in dem der Informations- und damit auch der Meinungsfreiheit der Krieg erklärt wurde. Schien den Volksvertretern das Internet bis vor kurzem schlimmstenfalls suspekt zu sein, so wird es nun zu einem dämonischen Umsturzinstrument hochstilisiert, das - hier sind sich die Mächtigen dieser Welt erstaunlich einig - dringend mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Den für eine klassische Kriegspropaganda nötigen erzbösen Anführer der Gegenseite hat man längst gefunden.


Auch wenn das ein wenig nerdhaft klingt: Ich bin der festen Überzeugung, dass das Internet zu den größten Errungenschaften der Geschichte gehört. Damit meine ich nicht unbedingt das Internet, wie es sich heute nur allzu oft darstellt, mit seinen Millionen Schwachsinnsseiten, den endlosen Social-Network-Herumgeplapper über Nichtigkeiten oder die zahllosen Versuche, aus der Leichtgläubigkeit der Menschen Profit zu schlagen. Nein, ich meine die Möglichkeiten des Internets. Die Möglichkeiten, die es den Herrschenden in Burma, Teheran oder Peking zusehends erschweren, ihre Gewaltorgien unter den Teppich zu kehren. Die Möglichkeiten, die das Leugnen von Unterdrückung unmöglich machen. Die Möglichkeiten, flächendeckend Protest und Widerstand zu organisieren. Kurz: Die Möglichkeiten, vor denen alle Regierungen von Berlin bis Bangkok, Bischkek und Bagdad furchtbare Angst haben.

Zahllose Fronten gibt es in diesem Informationskrieg - ein Begriff, der ursprünglich mal für staatliche Hackerangriffe reserviert war. Diese Fronten verlaufen zwischen Lohnschreibern und freien Journalisten, zwischen etablierten Medien und Bloggern; vor allem aber zwischen Regierungen und Regierten. Die Volksvertreter haben mittlerweile gemerkt, mit welch immenser Machteinbuße der technologische Fortschritt einhergeht. Man kann den Einsatz von Polizeigewalt nicht mehr wie früher heimlich durch agents provocateurs vom Zaun brechen - wenn jeder zweite Demonstrant ein video- und internetfähiges Handy dabei hat, wird der Rest der politisch interessierten Republik binnen Minuten via YouTube Zeuge von solch schmutzigen Tricks. Man kann die Verbreitung von Gesellschaftskritik nicht mehr unterbinden, indem man Razzien durchführt und Druckmaschinen beschlagnahmt. Man kann den Informationsfluss nicht mehr steuern, indem man sich gefällige Mainstream-Medien heranzüchtet.

Das und nichts anderes ist der Grund, weshalb so viele Politiker das Web 2.0 hassen. Wohlgemerkt, das Web 2.0, nicht das Internet an sich: Ein Netz wie im Jahr 1992 wäre ihnen sehr genehm, weil überschaubar und informationell mehr oder weniger eine Einbahnstraße. Ein Netz, das sich vornehmlich aus Seiten von Institutionen, Medien und Wirtschaft zusammensetzt und dessen Interaktionsmöglichkeiten mit der Lupe gesucht werden müssen. Ein Netz, das zum konsumieren da ist und nicht zum revoltieren. Ein Netz, das gerade fortgeschritten genug ist, um es den Geheimdiensten zu ermöglichen, die Festplatten der Nutzer zu durchstöbern.

Jeglicher Versuch, das Internet zu maßregeln, kastrieren oder zensieren, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Ursel von der Leyen ging es nie um Kinderpornos, und genausowenig geht es der EU derzeit um dasselbe Thema. Es geht Kristina Schröder auch nicht um Jugendschutz, wenn sie auf aberwitzige Weise den JMStV novellieren will. Und es geht den Schilys, Schäubles und de Maizières nicht um Terroristen, wenn sie zu x-ten Male die Vorratsdatenspeicherung einfordern. Das sind alles nur Einstiegsdrogen, es geht stets nur um eines: Das Netz kontrollieren zu können. Und wer dieses Ziel verfolgt, zeigt schon allein dadurch, dass er das Netz nicht begriffen hat. Um so schlimmer: Was man nicht begreift, bekämpft man um so erbitterter.

In diesem Krieg gelten keine Genfer oder sonstige Konventionen, er eskaliert jeden Tag ein wenig mehr. Schon ist nicht mehr die Rede von Zensurmaßnahmen oder Zugangsbeschränkungen, sondern wird Sympathisanten gedroht, Menschenjagd betrieben und nach Hinrichtungen geschrien. Wie in jedem Krieg laufen die Propagandamaschinen auf Hochtouren, noch bevor der erste Schuss fällt, und wie in jedem Krieg ist das erste Opfer die Wahrheit. Der Kampf diene nicht der Unterdrückung, so wird uns suggeriert, sondern dem Schutz der Demokratie - ungeachtet der Tatsache, dass die Grundlage einer jeden wahren Demokratie Transparenz ist. Aber diejenigen, die Transparenz als politisches Mittel einsetzen, werden zu Feinden erklärt, mit Schmutz beworfen und zum Abschuss freigegeben. Julien Assange hat Babys aus Brutkästen gerissen und auf seinem Bajonett aufgespießt! Schnappt ihn euch!

Tragischerweise handelt es sich nicht nur um eine epische Auseinandersetzung, sondern zugleich auch um einen höchst ungleichen Kampf. Diejenigen, die das Netz als Instrument zur Verhinderung von Machtmißbrauch und Willkürherrschaft, als Grundfeste einer demokratischen Gesellschaftsordnung begreifen, sind hoffnungslos in der Minderheit. Die Mehrheit ist entweder lethargisch oder schließt zumindest ideell die Reihen der messerwetzenden Reaktionäre. Um ihre Loyalität zu kaufen, reichte ein Spottpreis: Nicht mit Geld, Titeln oder Länderein, sondern mit Angst, Hass und Verachtung wurden sie zugeschmissen und gefügig gemacht. Guck mal da, die Kinderpornofreaks!


Viel Feind, viel Ehr'. Selbst auf die Opposition ist kein Verlass: Der Grünen-Chef diffamiert Wikileaks als Gefahr für die Demokratie; seine Partei ordnet derweil das Gewissen der Taktik unter und ist damit beschäftigt, sich ihres Opportunismus wegen selbst zu bemitleiden. Die Linke folgt, zumindest in Berlin, diesem traurigen Beispiel, und die SPD hat ohnehin nicht den Mumm, sich eindeutig zu positionieren. Ob diese Parteien wenigstens noch empfänglich für öffentlichen Druck sind, wird sich zeigen - und ebenso, ob die Demokratie überhaupt noch als ein so wertvolles Gut gilt, dass dieser Druck auch tatsächlich aufgebaut wird. Immerhin: Noch kann man Abgeordneten Emails schicken.

5 Kommentare:

carluv hat gesagt…

Gut gebrüllt, Löwe!
Und was soll ich jetzt noch zum Thema schreiben?
Das Captcha sagt: "fargis". Ok, dann vergesse ich es.

Dr. No hat gesagt…

Hm - wie wär's mit "iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii"?
;-)

Law&Order-Impi hat gesagt…

Kulturpessimismus, hurra! Da sa'ma doch dabei!

Im Ernst: Siehst Du das echt alles so finster? Ich mein, ich will jetzt keine Lanze brechen für unsere schwarz-gelbe Regierung, die natürlich kraft ihres wertkonservativen Weltbildes reflexhaft alles Kreative aus der Wahrnehmung verdrängen will, aaaaaber ...

... beim Fall WikiLeaks bin ich mir da schon nicht so sicher. Das da plötzlich eine sehr pikante Allianz zwischen Israel und den arabischen Staaten gegen den Iran enthüllt wurde, ist doch eine Katastrophe.

Ich finde die Überlegung, ob eine totale Transparenz WIRKLICH der Demokratie förderlich ist, zumindest überlegenswert. Hat ja auch schon wieder einen Überwachungsaspekt. Je nachdem, welche Position man einnimmt, muss man sich auch über konkrete Verhaltensnormen von Webseiten wie WikiLeaks Gedanken machen.

Ich weiß nicht, ob Du Sascha Lobo bei Anne Will (zwei Namen die Schrecken verkünden) vor ner Woche gesehen hast? Wie selbstgefällig der Cocktail-Party-Punk sich da in seinen Sessel gepfletzt hatte und davon sprach, solche Leaks wären in Zukunft eh nicht zu vermeiden. Entweder man passt sich ihnen an, oder geht unter. Damit hat er zwar durchaus Recht -das Internet und die ganzen tollen Möglichkeiten- im Umkehrschluss bedeutet diese neue Freiheit auch eine Verantwortung. Darüber sollte man sich zumindest mal Gedanken machen. Gesellschaft, Diskurs .. bla.

Meine ganze persönliche Meinung: Ich habe weit weniger Angst vor dem Staat, vor 1984 und dem ganzen Mist, als vor privaten Firmen und ominöser Organisationen, die sich in einem Kreuzzug gegen die USA oder weiß der Geier auch was befinden.

Dr. No hat gesagt…

Ich glaube nicht, dass sich Wikileaks als Kreuzzügler gegen die USA begreift. Dass sich die letzten Veröffentlichungen explizit gegen die Supermacht richteten, lag ja nicht zuletzt daran, dass es Schergen dieser Macht waren, die Wikileaks die Infos zugespielt haben. Sicher würden auch australische Dokumente veröffentlicht werden - aber es ist ja nunmal so, dass Australien eher nicht als imperiale Weltmacht durch die Gegend poltert; da kommt wohl weniger Brisantes zusammen.

Ich glaube, in der ganzen Berichterstattung wird die unterstellte aktive Rolle von Wikileaks überstrapaziert - der passive Aspekt der Arbeit als Veröffentlichungsplattform geht da unter. Die Folgen: Da wird z.T. kolportiert, Assange wäre an die Daten gekommen, indem er sich irgendwo eingehackt hat. Weitere Folge: Er wird als Schwerverbrecher und Hochverräter bezeichnet, die ersten Wadenbeißer wollen ihn tot sehen.

Vielleicht sehe ich das im Grundsatz zu idealistisch, aber ich kann nicht akzeptieren, wie selbstverständlich es hingenommen wird, dass Regierungen in demokratischen Systemen Geheimnisse vor ihrem Souverän haben. Auch und gerade in außenpolitischen und militärischen Fragen. Es gibt sicher hunderte Videos wie das Hubschrauberding aus Bagdad, nur eins davon hat es in die Öffentlichkeit geschafft. Dank Wikileaks. Und dann wären da noch die Geheimdienste, die der Kontrolle der Öffentlichkeit ja völlig entzogen sind - sm Ende von deren Geheimniskrämerei liegen die Leichen von Allende oder Lumumba.

Von einer israelisch-arabischen Allianz habe ich noch nichts gehört, nur von einer arabischen. Aber wenn es eine solche Absprache gibt, wäre sie das beste Beispiel für den Sinn von Transparenz: Wie sollen die Scharfmacher weiterhin die Leute aufwiegeln und das jeweils andere Volk als Todfeind stilisieren, wenn selbst die Regierungen zusammenarbeiten?

Es gibt für mich zwei wesentliche Gründe, weshalb ich in dieser Frage eindeutig auf Seiten von Wikileaks stehe: (a) Der Bürger hat ein Anrecht darauf zu erfahren, wie in seinem Namen gehandelt wird und (b) dürfen Regierungen sich nicht immer weiter der Kontrolle des Volkes entziehen. Der Bohei um Wikileaks zeigt, wie weit das schon gediehen ist.

WhistleImpi hat gesagt…

Regierungen müssen Geheimnisse haben - sonst wären sie nicht handlungsfähig.

Ich stimme Dir aber zu, was den "passiven Aspekt" von WikiLeaks anbelangt. In erster Linie ist gar nicht diese Plattform das "Üble", sondern die Tatsache, dass die Supermacht USA sensible Daten auf ein Silbertablett präsentieren. Jetzt "hängt ihn höher" zu schreien, führt am eigentlichen Problem vorbei, dass momentan die USA haben.

Ich bin generell am Hadern, wie man Fälle wie diesen künftig juristisch handhaben sollte. Ich bin einerseits sehr dagegen, dass es in Politik und Diplomatie keine Vertraulichkeit mehr geben darf. Auf der anderen Seite hat die Öffentlichkeit natürlich ein Informationsrecht und diejenigen, die hier investigativ arbeiten, brauchen Rechtssicherheit. Das betrifft nicht nur Whistleblower, sondern auch Journalisten, Blogger, Stammtischhelden - ja sogar Dich und Mich. :)

Die Preisfrage ist: Wer entscheidet, wann etwas hinreichend relevant wird, dass ein Verschweigen ein Betrug am Wähler wird?

Zu sagen, alles muss immer und zu jeder Zeit komplett transparent sein, auch das vertraulichste Gespräch zwischen Diplomaten verfeindeter Nationen (wie im Fall Israel), halte ich aber für ungeeignet. Das klingt zwar hübsch radikal, man macht es sich aber viel zu einfach.