Es passiert eher selten, dass ich von der Lektüre des Bildblogs, einer meiner ausgewiesenen Lieblingsseiten, auch mal enttäuscht bin. Aber manchmal eben schon. Zum Beispiel, wenn ein sich die Tatsachen haarsträubend zurechtmodelnder neokonservativer Propagandablogpost in die ansonsten als Start in den Tag bestens geeignete Rubrik "6 vor 9" verirrt. So wie gestern.
Ein gewisser "Zettel" regt sich über die angenommene Überrepräsentation "linker" Talkgäste in politischen Gesprächsrunden auf und meint, diese steile Behauptung mit Zahlen untermauern zu können. Und zwar mit einer Top-12-Liste der am häufigsten eingeladenen Personen; Spitzenreiter sind Karl Lauterbach (SPD) und Gregor Gysi (Linke) vor dem Industrielobbyisten Hans-Olaf Henkel, Renate Künast, Heiner Geißler und dem Stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges.
Auf das für Konservative symptomatische Verhaltensmuster, alles, was nicht zu ihnen, den Liberalen oder den Halb- bis Vollnazis gehört, als "links" oder gleich als "kommunistisch" einzustufen, möchte ich gar nicht weiter eingehen - obwohl die Bemerkung gestattet sei, dass, wenn man den Begriff "links" derartig weit fasst, es nicht besonders schwerfällt, da ein Ungleichgewicht auszumachen. Woher der Wind auf der Website weht, sieht man an der süffisanten Einordnung Geißlers als "früherer Politiker der CDU". Da nimmt ihm wohl jemand sein Attac-Engagement übel, denn selbstverständlich ist Geißler immer noch CDU-Mitglied.
Aber folgen wir dem Gedankengang ruhig mal auf theoretischer Ebene. Da finden sich in der Liste, an deren Richtigkeit zu zweifeln ich zunächst keinen Grund sehe, also drei Linke, drei Grüne, zwei Sozialdemokraten, ein Christdemokrat und vier Parteilose. Sieht auf dem ersten Blick tatsächlich tendenziös aus. Sollte das deutsche Fernsehen tatsächlich von langhaarigen kommunistischen Ökoterroristen unterwandert sein, ohne dass ich (oder irgendjemand sonst außer "Zettel") es mitbekommen hat? Es ist ein düsteres Bild, das Zettel da von der grundlegenden Überparteilichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks malt.
Aber selbstverständlich stimmt die Argumentation hinten und vorne nicht. Der Fehler in dieser selbst Milchmädchen beschämenden Rechnung ist natürlich der, dass sie an Personen und nicht an Parteien festgemacht ist. Es sind einzelne Politiker, die überrepräsentiert sind, aber keine politischen Strömungen. Und das hat einen simplen Grund - denn es ist vollkommen klar, dass jemand wie Gregor Gysi weitaus öfter in Talkshows sitzt als jemand wie, sagen wir, Rudolf Rentschler (der im übrigen nicht immer die schlechtesten Ansichten hat, zumindest für einen FDP-Mann). Gysi ist eloquent, charismatisch und ein brillianter Rhetoriker, der auch bei Nicht-Linke-Wählern ankommt. So jemand wird von der Redaktion gerne eingeladen - und von der Partei gerne vorgeschickt.
Ähnliches lässt sich für andere sagen: Geißler als Vorzeige-Wandler zwischen den politischen Welten, Sarah Wagenknecht als beliebte Reizfigur, Arnulf Baring als Alibi-Intellektueller, der neoliberaler Ideologie wissenschaftliche Weihen verleiht und Hans-Olaf Henkel, der sich offenbar immer selbst einlädt. Und so weiter. Diese Leute gelten als Quotenbringer, während der überwiegende Teil (nämlich 72%) der untersuchten 1035 Talkshowgäste nur ein einziges Mal eingeladen wurde.
Dass seine These über keinerlei mathematisch verwertbare Aussagekraft verfügt, deutet der Autor sogar selbst an: "Man kann einwenden, die Verteilung könne bei der Gesamtheit der Gäste (...) ausgewogener sein als bei den Stars." Nein, das kann man nicht einwenden, das MUSS man einwenden - denn erst dann ergibt sich ein repräsentatives Bild. Wenn bei der Gesamtbetrachtung der 1035 Talkshowgäste herausstellen sollte, dass z. B. ein Drittel zur Linkspartei oder 85% zur Linken, der SPD oder den Grünen zählen - dann, aber auch erst dann hätte man eine tendenziöse Schieflage. Ich glaube aber keine Sekunde daran, dass dem so ist.
In 16 von 340 Sendungen war also Karl Lauterbach eingeladen. Und, soll das jetzt ein Skandal sein? Der wird vermutlich fast immer angesprochen bzw. von seiner Partei vorgeschickt, wenn's um das Thema Gesundheit oder Bildung geht, und um diese Themen geht es oft. So what? Haben CDU und FDP eben eine größere personelle Bandbreite. Was die FDP betrifft, vermute ich, dass irgendein schlauer Kopf in der Parteispitze dafür sorgt, dass Pappnasen wie Niebel oder Brüderle nicht allzu oft der Öffentlichkeit vorgeführt werden, das kostet nur Prozentpunkte.
Dass Zettel seine Hypothese der linken Verschwörung nun mit der Behauptung zu retten versucht, die "Stars" würden eher im Gedächtnis bleiben als seltener eingeladene Gäste, ist genau das - ein leicht zu durchschauender Versuch, die Zahlen nach seinem Gusto zurechtzuinterpretieren; nichts weiter als eine höchst fragwürdige Unterstellung. Im Gedächtnis bleiben m. E. eher die besseren Argumente, aber ohne empirische Untersuchungen weiß man's eben nicht.
Das Ganze regt mich vor allem deshalb auf, weil es die klassische Vernebelungsstrategie von Propagandisten ist: Man bemüht irgendwelche Zahlen, die nichts aussagen, aber einem ins Argumentationsmuster passen und hofft, dass es schon niemandem auffallen wird. Erstaunlich oft kommen diese Leute damit durch. Nicht nur in Blogs, sondern sogar in den beschriebenen Talkshows. Entweder wollen sie ihr Publikum gezielt in die Irre führen oder sie kapieren ihre eigenen Zahlen nicht. Man fragt sich, was schlimmer ist.
Und warum ich das Ganze hier ausbreite, statt Zettel einfach einen entsprechenden Kommentar auf die Seite zu knallen? Weil das dort nicht geht; Feedback ist nur möglich, indem man sich im blogeigenen (und wenig übersichtlichen) Forum anmeldet. Habe ich aber keine Lust zu und sehe es auch nicht ein: Ich habe vielmehr den leisen Verdacht, dass viele Leute, die Rückmeldungen nur mit nerviger Registrierung (oder einfach gar nicht) zulassen, auch gar keinen Wert auf sie legen. Zumindest nicht auf kritische.
Nun, sie können es ja machen, wie sie wollen. Nur an den Bildblog hätte ich eine Bitte zu richten: Macht euch nicht zum Multiplikator für solch billige und ideologisch motivierte Taschenspielertricks. Dafür gibt es andere Seiten.
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