Sonntag, 15. April 2012

Fresse, Liebknecht!

"Sehr verehrte Damen und Herren, das
Wort möchte der Abgeordnete Meyer.
Kriegt er aber nicht."
Künftig soll im Bundestag nur noch nach vorheriger Anmeldung durch die Fraktionen gesprochen werden dürfen. Wer das Parlament ohnehin immer als Quasselbude abgetan hat, braucht sich allerdings darüber nicht zu freuen: Denn im Ergebnis wird dort künftig noch weniger debattiert und dafür noch viel mehr bloß gequasselt.


Anlass: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat in einem unverzeihlichen Akt zwei Parlamentariern das Wort erteilt, die - bitte schaffen Sie ihre Kinder außer Lesweite, sonst kriegen die einen Schaden fürs Leben - nicht derselben Meinung waren wie ihre Partei! So eine Disziplinlosigkeit kann man vielleicht in anderen Ländern durchgehen lassen, aber hier? Niemals, schließlich zählt Disziplin zu den urdeutschen Tugenden. Künfitg sollen also nur noch die Abgeordneten ans Rednerpult treten dürfen, die zuvor von den Fraktionen dafür angemeldet wurden; außerplanmäßige Wortmeldungen soll der Bundestagspräsident nur in nicht näher definierten Ausnahmefällen zulassen dürfen, und dann hätten diese Redner auch nur drei Minuten Zeit. Ob mit dieser Regel Politiker wie Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg je zu Wort gekommen wären?


Eine rhetorische Frage, die, wenn man sie trotzdem beantwortet, den einzigen Zweck dieser geplanten Änderung der Geschäftsordnung offenbart: Die Querulanten in der eigenen Partei zum Schweigen zu bringen, im wahrsten Sinne des Wortes. Unions-Fraktionschef Volker Kauder formuliert es so: "Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, dann bricht das System zusammen", und vermutlich hat er damit ausnahmsweise mal die Wahrheit gesagt. Wenn die Widerborste in den Parteien die schönen Absprachen und Kuhhandel, die in den Klausurtagungen oder bei Abendessen im Adlon beschlossen wurden, durch lauthalse Kritik torpedieren und phoenix das dann auch noch live überträgt, dann - nun ja, bricht das System vielleicht angesichts der Schnarchnasigkeit der Bevölkerung nicht unbedingt gleich zusammen, aber es läuft eben auch nicht so reibungslos wie gewünscht. Natürlich müssen da schnell Mittel gefunden werden, um das zu verhindern.

Der allgegenwärtige Fraktionszwang ist ja schon schlimm genug, aber mit dieser neuen Regel verbannt man auch den letzten Rest Individualität aus der parlamentarischen Demokratie. Erinnern Sie sich daran, dass Abgeordnete ihrem Gewissen verpflichtet sein sollen? Guter Witz. Sie sind ihrem Fraktionsvorsitz verpflichtet und sonst niemanden, außer vielleicht ihren, hrrm, Sponsoren. Man kann dann auch gleich die Erststimme bei der Bundestagswahl ersatzlos streichen - wenn der örtliche Kandidat, dem man als Wähler das Mandat erteilen möchte, die Interessen des Wahlkreises in Berlin zu vertreten, künftig hinter verschlossenen Türen abgebügelt wird und dann auch noch im Plenum das Maul halten muss, dann kann man die Zusammensetzung der Fraktionen auch gleich komplett per Zweitstimme den Parteien überlassen. Dann sitzen da nur noch Linientreue.

Das wäre doch weit effizienter: Aufmüpfige Regionalpolitiker oder altgediente Parteitraditionalisten werden einfach so weit unten auf den Listen platziert, dass sie künftig im Plenarsaal nicht mehr herumnerven. Die letzten ollen Sozen, die noch auf Arbeitnehmerrechte und so einen Tinnef stehen. Die Altliberalen, denen bürgerliche Freiheiten noch wichtiger sind als finanzwirtschaftliche. Der eine Christdemokrat, der vielleicht doch noch was für Gleichberechtigung übrig hat. Sollen diese Hanswürste sich doch in den Landtagen austoben, wo sie über all das reden können, so lange sie wollen - so lange sie nichts daran ändern können.

2 Kommentare:

ulf_der_freak hat gesagt…

Das ist das gesetzliche Ende der Demokratie.

ColonelHeinz hat gesagt…

Die Einheitsliste würde das alles noch weiter vereinfachen...