Freitag, 5. Februar 2010

Karrierechance Schwerkrimineller

Seit etwas mehr als zwei Jahren gibt es nun die Vorratsdatenspeicherung, also die Verpflichtung der Provider und Telefongesellschaften, Verbindungsdaten sechs Monate zu speichern und bei Anforderung von Ermittlungsbehörden herauszurücken. Wir erinnern uns: Das Gesetz ist eingeführt worden, um - so hieß es - in Einzelfällen die Aufdeckung "schwerer Straftaten" zu erleichtern. Schwere Straftaten - das klang so nach Mord, Terrorismus, Menschenhandel und so weiter. Es geht aber um mehr, viel mehr Straftatbestände - und bei den reinen Verbindungsdaten bleibt es genausowenig wie bei den Einzelfällen.


Spon berichtete bereits drei Monate nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung, dass durch sie keine nennenswerten Erfolge erzielt worden seien und sich ihr Einfluss auf die Aufklärungsquote im Promillebereich bewege. Also musste wohl geklotzt statt gekleckert werden; und die Ermittler begannen, das neue Instrument hauptsächlich für die Verfolgung von Massendelikten wie Musikdownloads und Beleidigungen einzusetzen, wie die Zeit in einem sehr lesenswerten Artikel berichtet. Um also seiner Privat- und Intimsphäre verlustig zu gehen, reicht es also mitunter schon, jemanden in einem Forum als "Arschloch" bezeichnet zu haben.

Schon legen die Schnüffler los und wissen bald, mit wem man wann und wie lange telefoniert, etwa mit seiner Sekretärin an Wochenenden auf ihrer Privatnummer, wo man sich herumtreibt (Handyortung), welche Tittenwebsites man sich anschaut, von wem man Mails bekommt - da lässt sich doch gut mit arbeiten. Selbst wenn man es bei einem Handyanruf nur einmal kurz klingeln lässt, um dem Empfänger anzuzeigen, dass man sich gemeldet hat, macht man sich offenbar schon verdächtig. Vom unbescholtenen Bürger zum mutmaßlichen Terroristen mit nur einem Anruf - so einfach war es noch nie, in einer Nischenbranche Karriere zu machen.


Wer noch nicht wusste, dass Beleidigungen und dergleichen schwere Straftaten sind, sollte mal einen Blick darauf werfen, welche Straftaten nach §100a(2) des Gesetzes als "schwere" geführt werden. Beleidigung steht zwar nicht konkret dabei, aber ich bin ja auch kein Jurist. Dafür weist die entsprechende Liste nicht weniger als 37 einzelne Unterpunkte auf, die ihrerseits auf zig andere Paragraphen verweisen. Da fragt man sich schon, ob es nach dieser Definition überhaupt noch "leichte" Straftaten gibt. Also aufpassen, wenn man sich mal wieder in die Schlangengrube des Spon-Forums begibt oder einen Wikipedia-Autoren als "Deppen" beschimpft: Ruckzuck ist man Schwerkrimineller, der nicht mehr in Ruhe surfen oder telefonieren kann.

Am besten finde ich übrigens §100a(2)b: Dort wird "Abgeordnetenbestechung" als schwere Straftat definiert. Also los, zack-zack: FDP-Büros verwanzen, Abgeordnetentelefone abhören und Bewegungsprofile von Rainer Brüderle erstellen, inklusive Schlangenlinien!




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P.S.: Bei meiner Recherche bin ich auf eine schöne Aussage Wolfgang Schäubles gestoßen, der erneut Einblicke in dessen Denkweise und seine Vorstellung von Gewaltenteilung erlaubt und die ich dem Leser nicht vorenthalten möchte: "Ich habe zum Beispiel verfassungsrechtliche Zweifel, ob das Verfassungsgericht wirklich entscheiden sollte, für welche Straftaten man welches Instrument gesetzlich vorsehen kann oder nicht. (...) Es ist doch Sache des Gesetzgebers, zu sagen: Für diese Straftat kann ich dieses Instrument einsetzen - für jene nicht."

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