Montag, 16. Juni 2008

Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert 30 Jahre

Kleine Quizaufgabe: Nennen Sie eine argentinische Stadt außer Buenos Aires.

*ticktack*

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Die Zeit ist um. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lautete die Antwort "Córdoba" - und das heißt: Entweder haben Sie Ahnung von argentinischer Geschichte und Geographie oder Sie gehören zu diesen total durchgeknallten Fußballfreaks, die am heutigen Tag ihr gesamtes Weltbild auf die 90 Minuten reduzieren, als Titelverteidiger Deutschland bei der WM 1978 von Österreich aus dem Turnier geworfen wurde.

Nun gibt es viele Stichworte zum Thema "Argentinien 1978". Mir würden da etwa Nazi-Flüchtlinge, Militärdiktatur, Staatsterror, tausende ermordete oder verschwundene Menschen einfallen. Aber nein - das einzige, was heute die Gehirne beschäftigt, ist ein Tor in der 88. Minute und ein völlig übergeschnappter Radiomoderator. "Schmach" auf der einen, "Wunder" auf der anderen Seite. Nebenbei: Auch, wenn man das ganze rein fussballerisch betrachtet, fällt mir ein Spiel zwischen beiden Mannschaften ein, das es viel mehr verdient hätte, nach so langer Zeit noch die Emotionen hochkochen zu lassen: Die geschobene Vorrundenpartie von 1982. Aber das ist ja für beide Seiten ein bißchen peinlich, nicht wahr?

Nicht falsch verstehen: Es ist ja nichts Schlimmes dabei, in diesen Zeiten ein wenig Fußballverrücktheit an den Tag zu legen. Aber man kann's auch wirklich übertreiben. Eine Niederlage gegen ein auf dem Papier schlechteres Team auch nach 30 Jahren noch als "Schmach" zu bezeichnen, zeugt von überheblicher Arroganz - den Sieg über einen stärkeren Gegner als "Wunder" zu bezeichnen, von selbsterniedrigenden Minderwertigkeitskomplexen. In beiden Fällen haben die beiden betreffenden Nationalitäten ihr ganz spezielles Selbstverständnis seit Jahrzehnten verinnerlicht.

Und was passiert, sollte sich "Schmach" bzw. "Wunder" heute abend wiederholen? Massenselbstmorde in Deutschland, Ausrufung der Monarchie in Österreich? Keine Sorge, wird wohl nicht passieren. Das DFB-Team wird gewinnen, die Deutschen sich in revanchistischer Befriedigung suhlen und die Österreicher sich wieder als Opfer fühlen. Beide können das besonders gut.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das spricht mir (und sicher auch jeder Menge meiner still mitleidenden und augenverdrehenden Landsleute) aus der Seele. Eigentlich kanns ja nicht einmal der Hansi Krankl mehr hören, der ja auch schon darum flehte, endlich wieder einen österreichischen Sieg gegen Deutschland zu sehen - und seis nur darum dem Cordoba Gesummse endlich ein Ende zu bereiten!
Tja - wieder nix...